Der Hausberg von Spiez
Der Niesen ist nicht nur ein 2362 Meter hoher Berg am Alpennordrand. Am Niesen steckt eine Fülle von Faszinationen. Der Berg fasziniert aus Spiezersicht allein als wäre er eine ägyptische Pyramide mit gleichseitig abfallenden Hängen. Der Niesen hat geologisch keine vulkanische Geschichte, sondern hat seine Form durch erdgeschichtliche Faltenbildung, glaziologischer Verformungen und Erosion zu verdanken. Wolkenbilder, Schneeschmelze, Licht und Schatten verändern das Bild des Niesens ständig. Auch nachts bei Vollmond wirkt der Niesen dominant und geheimnisvoll. Das „Niesenliechtli“ auf dem Gipfel gilt nachts als Wahrzeichen zum Eingang ins Berner Oberland.
Phänomen Niesenschatten (Beobachtungen in Spiez)
Bei klarem und sonnigem Wetter kann in Spiez ab ca. Mitte November bis Mitte Januar (ca. 33 Tage vor und nach dem kürzesten Tag, dem 21. Dezember) der bekannte Niesenschatten beobachtet werden. Ab zirka 13.50 Uhr (je nach Beobachtungsstandort in Spiez etwas später) verschwindet die Sonne hinter dem Niesengipfel. Zu Beginn des Niesen-schattens verschwindet die Sonne nur knapp hinter den Niesengipfel um kurze Zeit später am Stalden-hang (westlicher Niesengrat von Spiez aus gesehen) wieder auf. Da die Neigung des Staldenhanges in etwa der Sonnenlauf-bahn entspricht, «drollet» die Sonne für einige Tage den Hang hinunter, um dann zwischen 15 und 16 Uhr, je nach Beobachtungsstandort, am Horizont der Simmentalerberge ganz unterzugehen.
Auf dem Spiezberg kann dieses Schauspiel sehr gut beobachtet werden. Bis zum 21. Dezember, dem kürzesten Tag im Jahr, verschiebt sich dieses Phänomen täglich mit abnehmender Sonnenscheindauer, da sich die Erdkugel bekanntlich im Winterhalbjahr nach Norden neigt (Jahreszeiten) - die Sonne aber hält das ganze Jahr hindurch an ihrer Laufbahn fest.
Das heisst für uns konkret, dass die Sonne nach dem Verschwinden am Niesengipfel ab ca. 13.50 Uhr täglich abnehmend bis nicht mehr zum Vorschein kommt. Ab dem kürzesten Tag bis Mitte Januar kann dieses Sonnenspektakel in umgekehrter Reihenfolge beobachtet werden. Dieses dynamische Schatten-Schauspiel verändert den Schattenverlauf täglich.
Westlich der Luftlinie Niesengipfel – Spiezer Gemeindeverwaltungs-Gebäude, dem Sonnenfels, wird der Niesenschatten nicht wirksam. Bewohner westlich dieser Linie erfreuen sich bei gutem Wetter uneingeschränkter Sonneneinstrahlung während der ganzen Winter-zeit. Das Gebäude der Gemeindeverwaltung trägt den Namen Sonnenfels nicht umsonst. Der Erbauer dieses Gebäude, Dr. Escher, wählte den Standort anfangs des letzten Jahrhunderts nach folgenden Kriterien: Einzigartige Sicht auf den Thunersee aber ohne Niesenschatten in der dunkleren Jahreszeit. Der Bauherr war Psychiater und strebte für seine Behandlungsstation und für seine Patienten möglichst viel Sonnenschein an.
Empfehlung: An einem sonnigen Nachmittag während der Niesen-Schattenperiode kann dieses Phänomen bei den Sitzplätzen auf dem Spiezberg hinter der Gemeindeverwaltung beobachtet werden. Beim anschliessenden Spazieren auf dem unteren Spiezberg-Wanderweg (Hans Barben Weg) kann die Verschiebung des Schattenverlauf bis gegen 16 Uhr über Spiez (Sonnenuntergang hinter den Simmen- bzw. Diemtigtalerbergen) hautnah erlebt werden.
Beobachtende dieses Phänomens nehmen mit Vorteil eine stark getönte Sonnenbrille oder ein durch Kerzen geschwärztes Stück Fensterglas mit. Ohne diese Hilfsmittel kann der genaue Vorgang am Niesengrat wegen der starker Blendwirkung nicht richtig beobachtet werden, gilt es doch Augenschäden zu vermeiden.
Der sich verschiebende, pyramidenartige Niesenschatten über den Thunersee hinweg kann natürlich auch direkt ab dem Niesengipfel nachmittags bei gutem Wetter gut beobachtet werden.
Walter Holderegger, Spiez